Fernweh


 

Die ersten Sonnenstrahlen schreiben Verlockung groß. Bringen auf unmittelbare Tuchfühlung mit als vermisst aufgegebenem Sehnen und Träumen, kitzeln den Geist, mobilisieren die Tat, provozieren die Kraft und konfrontierten mit dem, was man wohl Leben nennt. Esprit und Idee schütteln den Nachtschlaf ab, das eigene Lächeln steckt an, Liebe ist kaum länger Worthülse mehr, gesellt sich zur Freude und Zuversicht hinzu.

 

Im Kontakt mit dem Ich, seltene Präsenz der Seele, ein Du erscheint uns weniger entfernt.

  

Zeitgleich nichts, was mich länger an Ort und Stelle hält, auf der Suche nach Heimat in der Fremde, nach Begegnung mit mir selbst. Ich habe Fernweh.

 

Die schönsten Bilder glorreicher Erinnerung ziehen vorüber, lassen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht länger Verschiedenes sein. Der Geruch von Freiheit, Lust und Erfüllung vermischt sich mit dem Duft nach Meer, Wind und Wüste. Pulsierende Wärme wird nur gewähnt, und erscheint doch so nah, als könnte ich sie greifen.

Wohin darf die Reise gehn? fragt das ferne Weh und verstaut mich, sich selbst und die Erwartung von Glück in einer Tasche aus edelstem Linnen. Ich löse mir eine Fahrkarte ins innerste Selbst, gehe nach draußen und atme seidene Luft. 

 

Bereits etliche Reisen unternahm ich mit fernsuchendem Weh, wir kennen uns gut - verstehen genau. Dunstener Eindruck, Stimmung und Erlebnis keimen auf, verdichten sich zu Hier und Heute, formen schwadenes, inkonkretes Jetzt. Eine Ahnung wird laut, das Empfinden sensibler - ich bin endlich wieder ewig Ich.    

  

Wie ist es hier, in den fernen Welten? Sitze Seite an Seite mit dem Fernweh am Feuer, wir tauschen Geschichten, erfühlen uns stumm. Spielen Lieder, die keine Noten kennen, erträumen uns Atmosphäre, die keinen Namen hat. Wir sind eins, das Fernweh und ich, alleine mit uns und doch jeder für sich. Folgen ein jeder den eignen Gedanken und gewähren uns doch stete Zweisamkeit.  

 

Ein anderes Mal auf den Stufen der Plaza, Jugend und Leichte bilden einen sitzenden Kreis. Die Stimmung ist heiter, das Lachen gelöst, niemand, der hier an ein Morgen denkt. Am Abend werden wir endlos tanzen, auf den Straßen die Nacht uns zum Tage erheben. Lichtheller Schauplatz, flimmernde Wärme, das Spiel von Amore und mittendrin wir. Vitale Distanz küsst lockende Anmut, alleine bleibt niemand, auch nicht Fernweh und ich.

  

Am jungen Morgen reisen wir weiter, nehmen exotische Kulisse nun zu zeitnahem Ziel. Hier eint sich Märchen mit Fremde und Zither, Klischees klingen an, die Düfte sind neu. Wir umarmen die Ferne, bestaunen Farben und Formen, sammeln Türkisblau und Sehnsucht, stechen Kokosnuss an. Nichts scheint bekannt, nicht einmal Ich einem Fernweh, ein Reichen der Hände, bilden Wall gegen Lärm. Mischen Gewürz dann mit Mustern, tunken  Liebe in Freude, geben Leben hinzu, haben Labsal gemixt. Trinken Rotwein und Nachtschwarz, lauschen Klängen und Süße, betört und benommen wird Schwindel gefühlt.   

  

Weiter geht es in wilde Welten, der Westen ist nah, er braucht keinen Ruf. Tanken Adventure, Ekstase und Freiheit, folgen Straßen gen Süden, den Fahrtwind im Ohr. Sandstaub knirscht unter schweren Rädern, bereitet glattem Asphalt den wechselnden Platz. Die Umgebung wandelt minütlich, sekündlich, gefolgt von Stunden wohltuender Monotonie. Geschärfter Fokus, Leben in Echtzeit, geträumtes Real, es kennt nun Gestalt. Schustern uns jeder ganz autarkes Credo, nehmen uns beim Gedanken und sprechen kein Wort. Begleitet allein von den Lauten der Straße, Rabatz brüskiert Stille, stellen den Empfang auf laut. 

 

 Nicht lange danach die Lichter der Großstadt, Reiz, Information, Kopfschmerz und Krach. Fühlen wundersam Heimat, dies sind wir gewohnt, hier sind wir die Kings, das Fernweh und ich. Tauchen ein in kaum schmeichelnden Background, erobern Hochburg des Irrsinns, schreiben Dialog und Eklat. Suchen uns Bühne, erklimmen Reklame, buchstabieren das Spotlight, ziehen sodann die dunkle Ecke vor. Enge gebiert Weite, Seinsart nach gusto, Vielfalt im Grau, geübtes Temporeich. Relaxen in Hektik, sich erholen im Aufruhr, das kann wohl nicht jeder, aber das Fernweh und ich. 

  

Kraftvolle Stürme, die Rauheit des Meeres, taufende Gischt und stiebender Sand. Wir sind jetzt im Norden, besuchen die Ruhe, tauschen Weisheit mit Neptun, das Fernweh und ich. Hier ist sie die Tiefe, der Sinn und die Fragen, wir suchen nach Seele, das Fernweh und ich. Authentische Kälte, Erfrischung des Geistes, bedeutsame Schwere, weder Schnickschnack noch Kitsch. Hier sind sie ehrlich, das Land und das Leben, beweist sich das Wahre, bleibt nichts, was umgarnt. Wir gönnen uns Nebel, gewinnen den Fokus, kehren ein ineinander, und zurück in uns selbst. Wir sind wieder bei uns, nichts ging verloren, haben uns vergewissert, schöpften neuen Elan.  

  

Zurück in die Sonne, unter Menschen und Zelte, wir zählen die Sterne, spielen Liebe im Sand. Das Fernweh schwört Treue, wir flüstern uns Namen, vergessen die Eide und geloben uns neu. Grillen untermalen lebhafte Träume, schwüle Hitze ersetzt den schwereren Stoff. Wir fangen uns Leben, lauschen Tönen und Stimmen, entschlummern distanzvoll, das Fernweh und ich.  

 

Wir wechseln die Zeitspur, sagen Ciao und Goodbye nun, nehmen Pfad in die Ferne und Flug gen irgendwo. Sodann zwischen Kirschblut und Pastellen, Stil in zarten Linien, berühren nochmals ein Anders, ertasten Tempel und Virtuosität. Kleine Menschen sprechen utopische Sprache, hier sind wir fremd, und fremd ist auch uns. Lernen Sprache und Weise, den Feinsinn des Ausdrucks, erfahren Terme und Tempo, bestaunen rosanen Schnee. Hier lässt's sich leben, vielleicht nicht für immer, nehmen mit, was wir können, das Fernweh und ich.

  

Ein Ritt in die Wüste, Entfernungen weiter, verdauen das Neue, der Sattel ein Thron. Glutrote Sonne, sternklarer Himmel, bestechende Weite, nur das Fernweh und ich. Wenn es das gibt, Wahrheit und Echtheit, dann sind sie hier, wie das Fernweh und ich. Wandernde Dünen, Fata Morgana, Klarheit und Wissen – mein einziges Gepäck. Keinerlei Schnörkel und dennoch der Zauber, karges Nichts ist gleich Gott. Wir sind verloren, und dennoch sicher, gleichzeitig klein, als auch unendlich groß. Der Horizont spielt andauernd Streiche, vakantes Omniversum, ein Globus für uns.

 

Dann die Begegnung mit Oase und Lehmhaus, treffen Tänze und Schatten, Beduinenvolk. Ersehen Zähheit und Anmut, gekerbte Schönheit im Schlichten, studieren Rhythmus und Regeln, ehren den Stolz. Gemeinschaft wie Frohsinn, Eremit treibt Kamele - eine eigene Welt und wir haben teil.

   

Wir suchen Geheimnis, Magie und Okkulte, reisen nun weiter, das Fernweh und ich. Hier wird versprochen, was real sonst kaum meinte, bestechen die Krypten, lassen ahnen, was ist. Wähnen eines viel tieferen Sinnes, Erregung durch Vermutung, raten, wer wir sind. Im Schulterschluss mit verborgenem Wissen, Erwägen und Hoffen, im Kontakt mit Potential. Kitzel einer Sehnsucht, fließende Schauer, stetige Gänsehaut, Neugier in Aktion. Suchende Schau grast wolkigen Himmel ab, die Götter schenken uns gehaltvollen Blick. Seele trifft Schöpfer, wir hoffen auf Zukunft, proben die Demut und grüßen ein Heim. Ins Licht aus dem Dunkel, aus der Nacht in das Taghell, verlassen das Gestern und betreten ein Jetzt.  

 

Nun ist uns nach Teatime, nach Mode und Klasse, gepflegter Snobismus, Intellekt und Kultur. Genießen Verwandtes, das Multi von Leben, veredelten Umgang wie gehobene Tradition. Graufarbe und Buntheit, sie sind eins, und nicht zwei, genäselter Wortlaut, konstantes Maß Lethargie. Belesene Gleichform trifft exzentrischen Queer hier, übergeht ihn gelassen, zieht weiter, in die Lounge. Frönt Häppchen und Smalltalk, nippt am Glas und wippt Füße, übt sich im Lächeln, wahrt beständig Kontenance. So lässt’s sich leben, sagt das Fernweh vergnüglich,  auch ich spüre Wohltat und gebe gerne mein Ja.

 

 Glut in den Blicken, Temperamento und Pfeffer, pilgern gen Festzeit, das Fernweh und ich. Inbrunst und Pathos, Eros küsst Fieber, suchen das Leben, das noch begehrt. Hier ist sie heimisch, die ewige Sonne, des Wagemuts Nahrung und die auch des Sturms. Weniger Sorgen, mehr Expressionismus, impulsive Gangart, das Herz tanzt ganz frei. Feiern Bewegung, stillen den Hunger, wecken die Freude und löschen den Durst.

 

Nur noch ein bisschen, wollen Wartung, brauchen Füllung, erst dann gehn wir fort. Nimm nicht allzu ernst das, was hier gesagt wird, was Dir begegnet und Dir hier geschieht. Doch nimm sehr ernst das, was Dich hier antreibt, was Szenerie sucht und was Dich sehnt. Fühle Bindung, dort, wo Verständnis ist, Verständnis für das Bindungslos. Denn dies eint Dich, mit den ganz wenigen, mit den besonderen, die dies mit Dir teilen.  

 

Zeit zum Aufbruch, es warten Ziele, in diesem Fall ein gesamter Kontinent. Lichtscheuer Dschungel nebst Kolonialstaat – nur ein Ausschnitt, und dennoch die Welt. Spielen Herren und Damen, bereisen Steppe und Dörfer, erwecken Lebensart aus längst vergessner Zeit. Belebte Märkte, quirliges Treiben, Menge an Eindruck, ungekannte Ausdrucksform. Am Abend dann Stille, Frieden der Dämmerung, Platz auf der Veranda und Sicht auf den Horizont. Grüßen Riesen in der Ferne, schauen endlose Weite, mehr als reichlich, genug für uns zwei. Nur ein Abglanz vergangener Tage, dennoch stolz und schön genug. Exkursionen, die erinnern, dass einzig Leben ist, was die Idee beschreibt.

  

Zuletzt noch Blockhaus, Wolf und Braunbär, back to nature, fast ein Zuviel. Erfahren Wildnis, strenges Einsam, Gruß des Schlichten, Pracht der Natur. Essen Zwieback, schüren die Feuerbrunst, wärmen den andern und sind zu zweit. Fangen Mücken, zelebrieren die Bruderschaft, gehen baden, pflegen Konversation.    

 

Und was jetzt nun? fragt endlich das Fernweh. Befragt das Heimweh, unsern Kumpan. Stiller Weggefährt, seit ein paar Tagen nun, hat sich zu uns gesellt, nimmt uns in Bann. Trübt die Zweisamkeit, und das Erlebnis, ermüdet Fernweh, erschöpft auch mich. Kurzer Meinungstausch, empfinden einig, möchten heimwärts, wenn vielleicht auch nicht lang.

  

Ein letztes Warten, nun auf die Ankunft, nehmen den Zug und verprassen die Zeit. Kommen nur langsam an, schwelgen im Gedankenfluss, sortieren Bilder und ordnen einen Traum. Die Phantasie führt Regie jetzt alleine, sinniert Gewesenes und gleitet ab. Mein Kopf rutscht auf Schulter, in Fernwehs Armen, schließe die Augen und fühle mich mir nah. Fernweh behütet mich, bewacht die Ruhe, gewährt innigen Frieden, im Zwiegespräch sich selbst. Fühlen unsere Einigkeit, stumme Vertrautheit, ein Gegenüber ganz wie wir selbst.

 

 

Der Blick nach draußen, Weg führt nun rückwärts, Ziel stückweit näher – bald sind wir da.  

 

Retour für uns zwei nun, Seite an Seite, zurück nach Hause - Fernweh und ich.

 


© 2oo6, Saskia Katharina Krost