Neulich im Buchladen: Nina Ruge entdeckt „Das Geheimnis der
Selbstheilung“. Wurde auch Zeit, so ein Ratgeber für Prominente.
Denn jeder zweite ist heute mit dem Virus „Ich-bin-ein-Multitalent“
infiziert.
Nina
Ruge entwirft jetzt Geschirr. Bücher schreibt sie. Schmuck designt
sie auch. In ihrer aktuellen Print-Kampagne wirbt sie für die WWK.
Moment, wie passt das jetzt zusammen? Ich denke, es wird alles gut.
Warum soll ich mich da versichern? Oder wird nur dann alles gut,
wenn ich richtig und rundum versichert bin? Das sollte sie aber
dazusagen. Was soll’s. Tatsache bleibt: War mir Nina Ruge bis
gestern noch hinlänglich (und vor allem ausreichend) als Moderatorin
bekannt, begegne ich heute notgedrungen ihrem neuen Ich. Sie kann
nämlich mehr als moderieren. Sogar viel mehr. Nina Ruge kann jetzt
alles – schmieden, schreiben und designen.
Genau wie Heidi Klum. Einst das schöne Unterwäsche-Model, beglückt
sie mich heute mit selbst entworfenen Sandalen, „Germany’s Next
Topmodel“ und einer Baby-Kollektion. Sieh mal einer an. Was diese
kreativen Genies nicht alles können. Kein Wunder, dass die so
berühmt geworden sind. Oder vielleicht doch ein Wunder? Das wird
wohl auf ewig prominentes Geheimnis bleiben.
Tatsächlich scheint es ein Privileg des omnipräsenten Prominenten zu
sein, dass er sozusagen über Nacht zum Allround-Talent mutiert.
Anders kann ich mir das nicht erklären: Warum wache ich Morgen für
Morgen auf und kann immer noch keinen Picasso nachbilden? Viele
Prominente können das. Auch wenn sie vorher sangen, tanzten oder
steppten.
Gott
muss prominente Menschen besonders lieben. Denn während er andere
lediglich mit einem einzigen Talent bedenkt (oder sie alternativ mit
zwei linken Daumen segnet), verschafft er Prominenten gerne das
Großhandelspaket „Talent zum Spartarif“. Irgendwie ungerecht, wie
ich persönlich finde.
Deshalb habe ich mich entschlossen: Ich will auch in diesen Club.
Folglich bete ich heute nicht mehr, wie Picasso zu malen, sondern
bitte Gott gleich: "Lass mich Nina Ruge sein!". Noch wurde ich nicht
erhört. Gott korrespondiert scheinbar ausschließlich mit
A- bis C-Prominenz.
Nicht nur, dass Prominente alles können, was sie wollen. Sie
beherrschen zumeist eine weitere charakteristische Kunst. Die
maßlose Unbescheidenheit. Nehmen wir an, ich wurde in der Rolle des
jugendlichen Liebhabers berühmt. Ich könnte mich nun darüber freuen,
dass ich mich offensichtlich hervorragend auf den knabenhaften Romeo
verstehe.
Aber
nein. Die oberste Direktive lautet: Strebe nach mehr und quäle diese
Welt mit deiner Forderung nach Selbstverwirklichung. Denn es ist
schlichtweg zu profan, nur ein Talent zu haben. Noch dazu so ein
dummes.
Zu
Erinnerung: Ich bin jetzt prominent - bedeutet anspruchsvoll, begabt
und allmächtig sowieso. Daher verachte ich schnurstracks, was mich
steinreich werden ließ, und wechsle punktum in das Charakterfach.
Goldene Regel: Nie wieder den jugendlichen Liebhaber spielen.
Schließlich muss diese Welt wissen, wer ich bin. Ob sie es wissen
will oder nicht – das interessiert doch (m)eine prominente Wenigkeit
nicht.
Pass auf, lieber Gott, ich möchte dir einen grandiosen Deal
vorschlagen:
Lass
mich Nina Ruge sein, und ich gehe auf der Stelle nach Hollywood.
Außerdem werde ich Lagerfelds Lieblingsmodel und mache P. Diddy
sowie J. Lo Konkurrenz. Schmieden, schreiben und designen würde ich
natürlich weiterhin. Vorausgesetzt, ich komme noch dazu.
Alles wird gut. Ach, was: Alles würde bestens! Lieber Gott, ich
würde alle erdenklichen Talente pflegen - Hauptsache, ich darf Nina
Ruge sein. Hättest du damit nicht die perfekte Prominenz kreiert?
Ich bin mir ganz
sicher – genau das braucht
diese Welt.
erschienen auf:
Letmeentertainyou.de | ©
2oo6, Saskia Katharina Krost