Pretty Mess


 

Maus-Wut-Syndrom, Mann-zu-Hause-Stress-Symptom - wenn Forscher forschen, entdecken sie regelmäßig ein neues Syndrom. Und ich entdecke, dass ich es habe. In diesem Fall leide ich unter dem ‚Messie-Syndrom’. Diagnostiziert in meinem Kleiderschrank.

 

Ich bin gerade am Kleiderschrank-Entrümpeln. Ich hasse das. Bringt mich regelmäßig an die Grenzen der materiellen Realität. Und meines Umgangs damit. Ich hasse die materielle Realität. Und meinen Umgang damit. Ehrlich, ich wünschte, es gäbe keine Kleiderschränke. Geschweige denn die Notwendigkeit zum Entrümpeln. Ich schwöre, ich wäre ein glücklicher Mensch. Ich relativiere: Ein etwas glücklicherer Mensch.

 

Der übliche Ablauf ist folgender: Ich fange voller Elan, Optimismus und Tatendrang mit dem Entrümpeln an. Wobei mich meine treulosen Kumpanen (Elan, Optimismus und Tatendrang) just in dem Moment verlassen, in dem ich meinen kompletten Kleiderschrank ausgeräumt und im Zimmer verteilt habe. Ich hasse das. Also habe ich mich jetzt auf's Kolumnen-Schreiben verlegt. Ich will nicht zurück in mein Zimmer. Geht auch überhaupt nicht. Ich habe keinen Platz. Dort ist überall Kleidung.

 

Immerhin ein paar essentielle Erkenntnisse habe ich gewonnen:

 

1. Ich bin sentimental.

 

Schlimm. Sobald ich eingesehen habe (seltener Moment!), dass ich ein Kleidungsstück beim besten Willen nicht brauche/ nie gebraucht habe/ nie brauchen werde, da nie trage/ nie getragen habe/ nie tragen werde, fällt mir ein, woran es mich erinnert/ erinnern könnte/ erinnern werden wird. Und hier mache ich beileibe keinen Unterschied zwischen guten und schlechten Erinnerungen. Fazit: Kleidung kommt nicht weg. Und wird schlussendlich wieder in den Kleiderschrank eingeräumt. Glück für das Kleidungsstück. Pech für das Unternehmen „Entrümpeln“.

 

2. Ich hab 'ne Meise.

 

Ein Kleidungsstück durchläuft bei mir im Minimum drei bis vier Durchgänge, bevor es irgendwann einmal entsorgt wird. Werden würde. Könnte. Betonung: Irgendwann einmal.

 

Durchgang 1: Durchgefallen durch das Raster "klasse Kleidung", aber hängen geblieben auf der Stufe "ist noch okay". Wird behalten.

 

Durchgang 2: Kleidung ist auf jeden Fall nicht mehr " okay", aber geeignet "für Zuhause". Auf dieser Stufe bleiben die meisten Kleidungsstücke hängen. Und verweilen dort. Jahre. Allein. Ungetragen. Denn ich bin nie Zuhause. Sondern unterwegs. Klamotten shoppen.

 

Durchgang 3: Kleidung will ich nicht mal mehr "Zuhause" tragen. Oder sie ist ungeeignet dafür (Skianzüge etc.). ABER: Erinnerung!! (Bing! War das eine scheiß Zeit...) Wird behalten.

 

Durchgang 4: Es sind inzwischen Jahrzehnte vergangen. Ich bin immer noch nicht fertig mit dem Entrümpeln. Die Mode hat sich geändert. Wir tragen jetzt den Retro-Look. Fazit: Ich fange von vorne an. Kleidung der Stufe 2, 3 und 4 kommt erneut in Frage für Stufe 1.

 

3. Ich will 'ne Arbeitsuniform.

 

Würde den größten Stapel Kleidung ("ist noch okay") punktum erübrigen. Denn ich würde einfach alles entsorgen, das definitiv nicht zur Kategorie "klasse Kleidung" gehört. Trage "ist noch okay" hauptsächlich zur Arbeit. Denn die ist auch nur okay. Wozu klasse Kleidung tragen.

 

4. Ich will 'ne Putzfrau.

 

Selbsterklärend. Ich würde meine Perle genau JETZT für die nächsten 3 Stunden beschäftigen. Mit meinem Kleiderschrank. Meinetwegen auch IN ihm drin. Hauptsache, sie würde mit dem Chaos fertig. Und zeigte  Eignung in der Anwendung meines komplizierten Selektionsverfahrens.

 

5. Ich will nicht mehr arbeiten.

 

Denn ich habe keine Arbeitsuniform. (vgl. 3.)

 

6. Eigenmächtiges Häkeln und Stricken sollte Müttern verboten werden.

 

Sorry, meine Liebsten. Braucht KEIN Mensch. Und will auch keiner. Bringe es trotzdem nicht über's Herz, die Schals, Handschuhe, undefinierbaren Kreationen - whatever - zu den Altkleidern zu geben. Haben die Liebsten Stunden dran gesessen, ihre Zeit und Liebe (hoffen wir's mal...) reingesteckt. Irgendwann werde ich mich darüber freuen (hoffen wir’s mal...) Außerdem - was soll's bei den Altkleidern? Braucht kein Mensch. Und will auch keiner.

 

7. Ich war fett im letzten Winter.

 

Folglich passt mir keine einzige der ca. zwei Dutzend Hosen mehr, die ich mir letzten Winter gekauft habe. Was mich vor schwerwiegende Entscheidungen stellt: Ist damit zu rechnen, dass ich im nächsten Winter wieder fett werde? Oder eher nicht...?! Und welche Variante ist anzustreben? Keine Ahnung. Folglich habe ich auch keinen blassen Schimmer, ob ich die Hosen entsorgen oder behalten soll. Ich schätze, die Hosen kommen erst mal auf den Stapel "Vorsichtshalber"... Womit eine neue Kleidungs-Kategorie eröffnet wäre. Ich bin stolz auf mich. Super Lösung. Nur: Wo unterbringen?!

 

8. Ich lese nie wieder vor dem Einschlafen Frauenzeitschriften.

 

Gestern war's ein Artikel mit dem Titel "Freiheit - das schönste Gefühl der Welt. Sie könnten mehr davon haben, denn die Grenzen setzen wir uns meist selbst. Weg damit!" Tipp 7 lautete: Loslassen. ("Fangen Sie doch einmal an, sich von Dingen zu trennen, die Sie seit Langem nicht mehr benutzt haben. Räumen Sie einen Schrank radikal aus!") Klasse. Nur deswegen habe ich den Shit hier jetzt... Ich wünschte, ich hätte einfach ferngesehen. Oder könnte nicht lesen. Liebe Frauenmagazine: Weshalb druckt ihr nicht einfach nur Mode ab?

 

9. Ich muss jetzt weitermachen.

 

Sonst kann ich nie wieder einen Fuß in mein Zimmer setzen. Ich krieg 'ne Krise. 

 

Leute, wisst ihr was? Im Grunde bin ich ein Freund von praktischen Lösungen.

 

Ich mach' kurzen Prozess. Ich kauf' mir einen zweiten Kleiderschrank.

 


erschienen auf: Letmeentertainyou.de | © 2oo6, Saskia Katharina Krost